Psst, niemandem Erzählen, aber wirklich!
Man kennt es: im Büro kommt eine Kollegin oder ein Kollege mit dem neusten Hörensagen und Halbwahrheiten auf einem zu. Gebannt hört man die Geschichten an und denkt. Man denkt sich vielleicht dabei noch „hoppla, die glaubt ja auch alles, was man ihr erzählt“ oder „zum Glück bin ich nicht so eine Plappertante“. Und eh man sich versieht, hat man denselben Klatsch schon seinem Bürokollegen brühwarm weiter erzählt.
oder
Ein Freund erzählt von seinen privaten Problemen. Ich meine hier nicht die kleinen Wehwehchen, sondern richtige, das Leben beeinträchtigende Probleme. Es arbeitet in einem, man fühlt sich nicht gut. Ein innerer Drang zwingt einem, mit einer anderen Person über das Problem zu sprechen. Sich auszutauschen, um die Belastung für einen etwas zu reduzieren.
Nun, wir wissen alle, in der Regel tratscht man mit dem Bürokollegen, wie im ersten Fall erläutert gleich, wie eben besagte oder belächelte Plappertante.
Resultat: (meist) Wenig Schaden, wenig Reichweite, solala Vertraulichkeit.
Im zweiten Fall wird man (sicher) viel diskreter mit der Information umgehen. Man bespricht das Problem vielleicht in der Familie, mit der Partnerin oder dem Partner. Maximal mit der besten Freundin oder dem besten Freund.
Resultat: Meist wenig Schaden, wenig Reichweite, höchste Vertraulichkeit.
Nun habe ich über die vergangenen Wochen auf verschiedenen Social Media Plattformen (hier vor allem auf Twitter oder Facebook) festgestellt, dass immer öfter auch Informationen öffentlich werden, die früher keine breite Masse erreicht hätten. Mit oft unvorhergesehenen Folgen für die involvierten Personen.
Nehmen wir ein fiktives Beispiel: Ich streite mich mit einem Familienmitglied über Geld (wir wissen alle, dass hier viel Konfliktpotenzial liegt). So schreiben wir uns also einige Mails. Ich fordere meine „Überbrückungshilfe“ zurück. Er will nicht zahlen. Das eine Wort ergibt das andere und endet in einem bösartigen und vielleicht im Ton manchmal verfehlten Schriftwechsel. Wir sprechen hier von Mail, nicht klassischem Briefverkehr. Somit wird meiner Erfahrung nach eher in mündlicher Sprache geschrieben, als eben bei der klassischen Korrespondenz. Was für mich auch heisst, dass die Wortwahl, nenne wir es „pragmatischer“ wird.
Nun, für mein liebes Familienmitglied ist der Fall klar. Ich bin im Unrecht. Um dieser, seiner Einschätzung, Gewicht zu verleihen, hätte er früher vielleicht meine Eltern, meinen Bruder oder Freunde zu überzeugen versucht. Und heute? Was, wenn er heute den gesamten (oder eben nicht) Mailverkehr ins Netz stellt, in einem Blog beschreibt, vertwittert? Gehört dies in die Öffentlichkeit?
Ich bin der festen Überzeugung: NEIN.
Warum?
- Weil auch im Zeitalter der sozialen Medien vieles nicht geteilt werden muss
- Weil persönliche Angelegenheiten auch persönlich bleiben sollen*
- Weil es für die meisten zivil- und strafrechtlichen Belange eine Lösung gibt, die KEINER Öffentlichkeit bedürfen
- Weil Transparenz in persönlichen Beziehungen zwar „bilateral“ geschaffen werden soll, aber nicht medial und schon gar nicht für x-Personen, die man nicht kennt
- Weil niemand weiss, wie eine solche Information in der breiten Masse, ohne Vorgeschichte, aufgenommen wird
Was heisst dies für mich als Socialnaut:
- Vorsicht bei der vor allem negativen Verarbeitung von Informationen über andere Personen/Unternehmen, denn schnell hat man jemanden in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt
- Quellen genau prüfen
- Interessen abwägen
- Immer zuerst den direkten, bilateralen Weg suchen, wenn es um die Lösung eines Problems, vor allem mit einer Einzelperson, geht
Was ist für Euch erlaubt und wo seht Ihr die Grenzen?
*Über die Frage, wie sich dies bei Personen des öffentlichen Lebens verhält UND wer eine solche Person ist, müssten wir ein andermal diskutieren…
Ich habe einen Sohn. 10 Jahre alt. Wie Kinder so sind, ist er nicht immer nur engelsgleich (aber grundsätzlich ein super toller Junge) und verhält sich an und an in einer Art, die mir nicht gefällt. Wenn ich das dann weiter erzähle, kommt er ganz empört und findet, das sei unfair, ich hätte das für mich behalten müssen, ich hätte ihn bloss gestellt. Das mag durchaus sein. Auf der anderen Seite: Wenn er sich auf eine Art verhält und sich damit im Recht fühlt, müsste ihm egal sein, dass ich es erzähle. Wenn es ihm nicht egal ist, gibt er selber zu, im Unrecht zu sein.
Wenn man nicht will, dass jemand etwas erfährt, das man hintenrum platzierte, muss man sich immer zuerst mal fragen wieso. Vielleicht war die eigene Art, das eigene Verhalten gar nicht so toll. Und man weiss das eigentlich. Klar gibt es Dinge, die privat sind. Die intim sind. Die gehören nicht an die Öffentlichkeit. Wenn ich aber jemandem etwas an den Kopf werfe, muss ich mich erst fragen, ob das gerechtfertigt ist. Wenn ja, darf es die Welt wissen, wieso auch nicht, man steht ja zu seiner Meinung. Wenn nicht, behält man es vielleicht besser für sich.
Pingback: Rezept für einen persönlichen Shitstorm